Auf Freiheit zugeschnitten by Margret Greiner

Auf Freiheit zugeschnitten by Margret Greiner

Autor:Margret Greiner
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien
veröffentlicht: 2014-10-28T04:00:00+00:00


Kunst und Leben

An einem der folgenden Samstage ging Emilie allein in die Kunstschau. Sie wunderte sich, wie wenige Besucher da waren. Nun gut, es war ein warmer Tag, da fuhren die Wiener an die Seen oder in die Berge. Und die Räume waren nicht zu belüften. Bei mehr als 30 Grad entwickelte sich eine Atmosphäre wie in Bleikammern. Berta Zuckerkandl, die eifrig die Werbetrommel rührte und auch schon das finanzielle Desaster der Kunstschau voraussah, arrangierte neuerdings Teenachmittage, um Besucher anzulocken. Zum Tee im schönen Garten kamen die Damen, die Galerieräume schenkten sie sich, man war bei dieser Hitze ja so leicht echauffiert.

Der Kontrast zum Eröffnungstag war jedenfalls deutlich. Sogar der große Klimt-Raum schien in der Hitze zu schrumpfen.

Sie blieb lange vor dem „Liebespaar“ stehen. Sonja Knips’ Worte hatten in ihr gearbeitet. Warum hätte Klimt sie beide so malen sollen, gefangen in einer solchen Entrücktheit, die es im echten Leben vielleicht vor langer Zeit gegeben hatte, die aber schon lange nicht mehr existierte? Und nein, die Frau auf dem Bild, das war ganz bestimmt nicht sie. Die Frau auf dem Bild hatte ja rotblondes Haar. Und ihre waren entschieden dunkel, allenfalls mit einem Kastanienschimmer. Aber die Hingabe der Frau, die einer Ohnmacht glich, losgelöst von aller Erdenschwere, und die vegetative Leidenschaft des Mannes, der aus dem goldenen Mantel herauswuchs wie eine Pflanze, konnte das nicht ein Sehnsuchtsbild sein, eine Sehnsucht, in die Klimt sich und sie eingebunden hatte, ganz unabhängig davon, wie die Erfüllung ausgesehen hatte – oder ob die golddurchwirkte Nähe überhaupt eine Erfüllung darstellte?

Sie erkannte, dass Klimt das Paar durch die Ornamente definiert hatte: der Mantel des Mannes zeigt eckige Formen, schwarz, silber und gold, metallisch und hart, die Frau hingegen ist in blumenartige, goldene und bunte Ornamente gehüllt.

Aber – und das war wieder Gustav, wie sie ihn kannte: Der Mantel des Mannes hat auch „weibliche“ Spiralen, und auf den Schultern der Frau wachsen kleine Quadrate. Mann und Frau tauschen ihr Wesen aus, und dieser Austausch, dieses Hinüberwandern vom einen zum anderen ist das Symbol der Liebe.

Emilie war froh, vor Sonja Knips den Gedanken, Klimt habe sie und sich auf diesem Bild verewigt, strikt und sogar unfreundlich zurückgewiesen zu haben. Was sie für sich fühlte, ahnte, verbarg oder zuließ, ging niemanden etwas an. Und sie würde Gustav ganz sicher nie die Frage stellen, ob das im Blütenmeer versunkene Paar ein Vorbild im realen Leben habe.

Ihr Blick heftete sich noch einmal an das Gesicht und die Haare der knienden Frau. Und dann wusste sie es: Die Frau war sie, war Emilie Flöge. Klimt hatte ihr orangefarbene Haare angedichtet, um sie zu schützen, um ihr primitive Zuordnungen zu ersparen und um sie als Paar in eine symbolische Welt einzuschreiben, in der jeder er selbst und ein anderer war.

Da stand plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, in dem fast leeren Raum wieder Arthur Roessler hinter ihr. Stellte er ihr vielleicht nach?

„Ach, gnädige Frau, wie schön Sie zu sehen!“ Er küsste ihr die Hand. Dann stellte er sich neben sie und betrachtete das „Liebespaar“.



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